Kollektive Zelldynamik, bei der sich Gruppen von Zellen gemeinsam bewegen, ist in vielen biologischen Systemen von zentraler Bedeutung. Die Art und Weise, wie sich diese Zellen bewegen, aneinander ausrichten und mechanisch interagieren, erzeugt neue Muster und Verhaltensweisen, die für ihre Funktion unerlässlich sind. Während viel darüber bekannt ist, wie Zellen in zwei Dimensionen (2D) wandern, sind die Effekte dreidimensionaler (3D) Umgebungen auf das kollektive Zellverhalten bisher weniger erforscht.
Die Forschungsgruppen von Anne Grapin-Botton am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik und von Frank Jülicher und Marko Popović, beide am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, haben sich zum Ziel gesetzt, die Rotation kugelförmiger Zellcluster zu untersuchen. Die Forschungsteams untersuchten im Labor gewachsene Organoide der Bauchspeicheldrüse von Mäusen – also dreidimensionale Modelle eines Organs. Geweberotation ist nicht ungewöhnlich und kann auch in anderen organoiden Systemen oder in Embryonen beobachtet werden.
„Wir haben festgestellt, dass sich viele dieser Zellencluster kontinuierlich drehen, wobei die Drehrichtung manchmal abweicht oder ganz zum Stillstand kommt“, sagt Tzer Han Tan, einer der drei Hauptautoren der Studie. Er fährt fort: “Wir haben uns gefragt, warum sich die Zellencluster (oder Organoide) drehen, und wandten uns an unsere Physiker-Kollegen Frank Jülicher und Marko Popović.”
Daraufhin bauten die Forscher ein dreidimensionales physikalisches Modell, um das kollektive Zellverhalten zu verstehen. Diese 3D-Vertex-Modelle werden normalerweise zur Beschreibung anderer Dinge verwendet, aber hier fügten die Forscher dem System einen Polaritätsvektor für Zellen hinzu und richteten das Modell auf einer runden Kugel aus. Indem wir eine Simulation durchführten und sie dann mit experimentellen Daten für die Rotationsgeschwindigkeit und die Stabilität der Rotationsachse verglichen, konnten wir zeigen, dass das Zusammenspiel von Zugkräften und Zellpolarität dieses Rotationsverhalten erklären kann“, sagen Frank Jülicher und Marko Popović.
Ein kugelförmiges Gewebe rotiert die meiste Zeit über stabil, wie die Erde, aber die Kugel kann manchmal in einen fließenden Zustand übergehen und spontan die Symmetrie brechen. Das kollektive Zellverhalten kann diese chirale Asymmetrie in drei Dimensionen hervorrufen. Ein Objekt oder ein System kann als chiral bezeichnet werden, wenn es von seinem Spiegelbild unterschieden werden kann. Sowohl Rotationsbewegungen als auch turbulente Strömungen sind notwendig, um eine chirale Asymmetrie zu erreichen.
Anne Grapin-Botton, Autorin und eine der drei leitenden Forschenden, fasst zusammen: „Der robuste Mechanismus für die Brechung der chiralen Symmetrie, den wir entdeckt haben, hat möglicherweise Auswirkungen darauf, wie die Entwicklung der Links-Rechts-Asymmetrie in biologischen Systemen zu verstehen ist. Unsere Ergebnisse lassen sich sehr wahrscheinlich auf rotierende Kugeln anwenden, die aus vielen Zelltypen bestehen. In der Bauchspeicheldrüse können sie auf andere Geometrien wie Röhren angewendet werden. Für das Verständnis, wie sich Zellen auf komplexen dreidimensionalen Oberflächen verhalten, kann dies von entscheidender Bedeutung sein.“
Tzer Han Tan, Aboutaleb Amiri, Irene Seijo-Barandiaran, Michael F. Staddon, Anne Materne, Sandra Tomas, Charlie Duclut, Marko Popović, Anne Grapin-Botton, and Frank Jülicher: Emergent chirality in active solid rotation of pancreas spheres, PRX Life 2, 033006
https://doi.org/10.1103/PRXLife.2.033006