Wir nehmen unsere Umwelt zum größten Teil mit unseren Augen wahr: Rund 80 Prozent der Informationen liefert der Sehsinn. Ein wichtiger Teil des visuellen Systems ist die Netzhaut mit den lichtempfindlichen Sehzellen. Am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) stellen sich Wissenschaftler die Frage, wie einzelne Zellen und ihr Verhalten dazu beitragen, ein komplexes System wie die Netzhaut zu bilden. Forschungsgruppenleitern Caren Norden und ihre Kollegen schauten sich in diesem Zusammenhang jetzt an, warum der Zellkern in Netzhaut-Vorläuferzellen innerhalb der Zelle zur Zellteilung verlässlich zur apikalen Seite, also nach oben, wandert. Sie fanden an Zebrafischen heraus, dass diese Positionierung im oberen Teil der Zelle notwendig ist, damit sich die zwei entstehenden Tochterzellen nach der Teilung ohne Probleme in das Gewebe integrieren. Teilt sich die Zelle wenn der Zellkern in der Mitte oder im unteren Teil der Zelle positioniert ist, bilden sich Zellklumpen und die Entwicklung der Netzhaut kommt aus dem Tritt. (Developmental Cell, Januar 2015)
Es ist ein langer anstrengender Weg nach oben. Für den Zellkern ist die Wanderung in den oberen Teil der Zelle kein Spaziergang. Aber warum tut er sich das dann an? Seit 1935 ist bekannt, dass sich der Zellkern nach oben bewegt, wenn eine Zellteilung ansteht. Caren Nordens Labor und andere Gruppen haben auch bereits erforscht, wie das mechanisch funktioniert. Eine Erklärung, warum das so ist und wie dieser Prozess ausgelöst wird, gab es allerdings noch nicht. Caren Norden interessierte diese Frage brennend und sie schaut sich mit ihrer Forschungsgruppe an, wie sich die länglichen Netzhaut-Vorläuferzellen in Zebrafisch-Embryonen entwickeln. Die Zellen teilen sich immer wieder in zwei weitere Vorläuferzellen, bis sich ein genügender Vorrat angesammelt hat. Dann erst entwickeln sich diese Netzhaut-Vorläuferzellen in verschiedene spezialisierte Neuronen der Netzhaut.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Zelle wirklich alles dafür tut, damit sich der Zellkern bei der Zellteilung im oberen Bereich befindet. Selbst wenn der Zellkern schon anfängt, sich zu teilen, eilt er während seiner eigenen Teilung schnell noch nach oben, um zur Teilung der gesamten Zelle an der richtigen Stelle zu sein. „Wir Biologen nennen das einen robusten Prozess“, so Norden.
Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass wenn sich der Zellkern während der Teilung nicht oben befindet, es den Tochterzellen, die nach einer Teilung entstehen, unmöglich ist, sich wieder richtig in das Gewebe einzufügen. „Die falschen Zellen, landen zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie sind verloren in Raum und Zeit“, erklärt Caren Norden die Folgen. Es können sich Zellklumpen bilden und die weitere Entwicklung der noch so jungen Netzhaut läuft fehl.
Zudem fanden die Forscher heraus, dass die Wanderung des Zellkerns nach oben durch das Enzym CDK1 (Zellzyklus-abhängige Kinase 1) ausgelöst wird. CDK1 löst die ersten Schritte aus, die dem Zellkern sagen, dass er nach oben gehen soll. „Damit haben wir einen weiteren zellbiologischen Baustein gefunden, der zu einer gesunden Netzhautentwicklung beiträgt“, fasst Norden zusammen.