Wie viel Regeneration?

Die Yun-Gruppe am CRTD und MPI-CBG identifiziert ein Protein, das das Positionsgedächtnis in Zellen codiert.

Ein Zellhaufen im Arm des Salamanders während der Regeneration. Die Zellen aus dem oberen Teil (in rot) verschlingen die Zellen aus dem unteren Teil des Arms (in grün). © Catarina R. Oliveira

Einige Tiere können sogar komplexe Organe regenerieren. Salamander können genau den fehlenden Teil eines Arms nachwachsen lassen und dessen Funktion vollständig wiederherstellen. Dies ist möglich, weil sich die Zellen, die nach der Verletzung zurückbleiben, an ihre ursprüngliche Position innerhalb der Gliedmaße erinnern. Wie dieses Positionsgedächtnis codiert wird, war eine langjährige Frage in der Biologie. Ein Forschungsteam um Maximina Yun hat nun Tig1 als ein Protein identifiziert, das die Position der Zellen innerhalb der Gliedmaßen des Salamanders bestimmt. Sie zeigen, dass Tig1 eine zentrale Rolle für die korrekte Regeneration im Salamander spielt. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Die Fähigkeit des Menschen, seinen Körper nach einer Verletzung zu heilen, ist begrenzt. Mehrere Tierarten können jedoch ihr Gewebe, ihre Organe und sogar ganze Körperteile nachwachsen lassen. Unter ihnen sind Salamander für ihre bemerkenswerten Regenerationsfähigkeiten bekannt. Sie können innerhalb weniger Wochen voll funktionsfähige Gliedmaßen nachwachsen lassen. Egal, welchen Teil eines Arms sie verlieren - Salamander sind immer in der Lage, genau den Teil zu regenerieren, der ihnen fehlt.

„Das Nachwachsen des fehlenden Organteils klingt selbstverständlich, stellt aber eine große biologische Herausforderung dar. Der Organismus muss zunächst feststellen, welcher Teil genau fehlt. Das bedeutet, dass die Zellen, die im Stumpf verbleiben, wissen müssen, wo sie sich im Kontext der Gesamtstruktur befinden. Diese Positionsinformation ist der Schlüssel zur Regeneration des fehlenden Teils", sagt Maximina Yun, Forschungsgruppenleiterin am Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der TU Dresden und am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG), die die Studie leitete.

Der Gedächtnis-Faktor

Forschende vermuten seit langem, dass die Information über die Position einer Zelle innerhalb eines Organs oder Körperteils irgendwie fest in der Zelle gespeichert sein muss. „Wir erwarteten, dass diese Art von Positionsgedächtnis oder Identität idealerweise in Form eines Gradienten vorhanden sein würde. Im Falle eines Arms würden die Zellen der Schulter beispielsweise große Mengen dieses Faktors enthalten, während seine Konzentration in den Zellen zu den Fingern hin schrittweise abnehmen würde", fügt Yun hinzu. „So würde die Menge des Faktors bestimmen, wie weit eine Zelle tatsächlich vom Kern des Körpers entfernt ist."

Maximina Yun arbeitete mit dem DRESDEN-concept Genome Center, sowie der Forschungsgruppen von Andras Simon (Karolinska Institut, Schweden) und Tobias Gerber (EMBL Heidelberg) zusammen. Das Team nutzte die Vorteile der modernen Einzelzell-RNA-Sequenzierungstechnologie (scRNA), um nach Faktoren zu suchen, die das Gedächtnis der Position der Zelle speichern könnten. Sie analysierten den Inhalt einzelner Zellen entlang des Salamanderarms auf der Suche nach Molekülen, deren Konzentration sich schrittweise ändert und die daher die Positionsinformation innerhalb der Zelle codieren könnten.

Ein Protein stach bei den gesammelten Daten besonders hervor. „Wir haben herausgefunden, dass das Protein Tig1 in einem Gradienten im Arm des Salamanders exprimiert wird", sagt Catarina Oliveira, Hauptautorin der Studie. „Je weiter unten im Arm, desto weniger Tig1 haben die Zellen, was es zum perfekten Kandidaten für einen Faktor macht, der das Gedächtnis der Zellposition innerhalb der Gliedmaße speichern könnte."

Mehr als ein Zeiger

Tig1 ist ein Protein, das auf der Oberfläche der Zellen vorkommt. Da es sich auf der Außenseite der Zelle befindet, dachten die Wissenschaftler:innen, dass es nur die Informationen über die Position der Zelle speichert. „Wir waren wirklich überrascht zu sehen, was passierte, als wir die Menge an Tig1 in den Zellen veränderten. Als wir den Tig1-Gehalt in Zellen erhöhten, die Teil der Hand werden sollten und die normalerweise sehr wenig davon haben, änderten diese Zellen ihre molekulare Identität. Sie begannen, Zellen zu ähneln, die zu einem Teil des Unterarms werden", sagt Yun. Mit der Veränderung der Tig1-Konzentration änderten sich auch die exprimierten Gene. Das Muster der Genexpression stimmte nun mit den Zellen überein, die normalerweise weiter oben in den Gliedmaßen des Salamanders zu finden wären. „Dies zeigt, dass Tig1 nicht nur die Position einer Zelle innerhalb der Gliedmaße anzeigt, sondern wahrscheinlich einer der Faktoren ist, die sie tatsächlich bestimmen", fügt Yun hinzu.

Das Team hat auch gezeigt, dass Tig1 für die korrekte Regeneration von Salamandern entscheidend ist. Eine Veränderung der Menge des Proteins in den Zellen eines nachwachsenden Arms führt zu Wachstumsstörungen. Dies unterstreicht die Bedeutung von Tig1 für den Regenerationsprozess und insbesondere für die Entscheidung, wie viel zu regenerieren ist.

Ein signifikanter Meilenstein

Diese Arbeit beantwortet eine seit langem bestehende Frage auf dem Gebiet der Regeneration- und Entwicklungsbiologie. Bislang wurden nur eine Handvoll anderer Moleküle mit der Positionsidentität der Zellen in Verbindung gebracht. Dies ist auch das erste Beispiel für ein Protein auf der Zelloberfläche, das das Muster der Genexpression innerhalb der Zelle in Richtung einer „proximalen“ Positionsidentität, d.h. einer Unterarmidentität, umprogrammieren kann.

Obwohl die Ergebnisse an Salamandern gezeigt wurden, könnte Tig1 auch bei anderen Tieren eine ähnliche Rolle spielen. „Tig1 ist in der Evolution sehr konserviert. Das bedeutet, dass es in einer ziemlich unveränderten Form in vielen Tieren vorhanden ist. Es bleibt abzuwarten, ob Tig1 auch in anderen Arten die Positionsidentität bestimmt", erklärt Yun.

Die Forschenden möchten auf diesen Erkenntnissen aufbauen und den Mechanismus erforschen, durch den Tig1 die Positionsidentität von Zellen bestimmen kann. Das Team ist bereits auf der Suche nach Tig1-Proteinpartnern, sowohl an der Zelloberfläche als auch im Inneren der Zellen. „Eine Möglichkeit, wie Tig1 die Genexpression im Inneren der Zellen beeinflussen kann, ist durch die Beeinflussung der mechanischen Eigenschaften der Zellen", sagt Yun. „Wir freuen uns, dass unsere Gruppe nun auch mit dem Exzellenzcluster Physik des Lebens an der TU Dresden assoziiert ist, was uns erlaubt, mit exzellenten Biophysikern zusammenzuarbeiten, um den Mechanismus der Tig1-Funktion im Detail zu untersuchen."

Originalveröffentlichung

Catarina R. Oliveira, Dunja Knapp, Ahmed Elewa, Tobias Gerber, Sandra G. Gonzalez Malagon, Phillip B. Gates, Hannah E. Walters, Andreas Petzold, Hernan Arce, Rodrigo C. Cordoba, Elaiyaraja Subramanian, Osvaldo Chara, Elly M. Tanaka, András Simon, and Maximina H. Yun: Tig1 regulates proximo-distal identity during salamander limb regeneration. Nature Communications (March 2022)

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin

Dr. Maximina H. Yun
Research Group Leader
Center for Regenerative Therapies Dresden
+49 (0) 351 458 82022
E-mail: maximina.yun(at)tu-dresden.de