Proteine mit Anhang

Fehler bei der Proteinherstellung könnten Organismen helfen, sich an unerwartete Umweltveränderungen anzupassen.

Grafische Darstellung eines Stoppcodons in der Proteinsynthese. © Midjourney AI Image, Katrin Boes, MPI-CBG

Unser Erbgut, die DNA, ist wie ein Rezeptbuch für die Herstellung von Proteinen. Beim Lesen dieser Rezepte machen die Zellen manchmal Fehler. Stoßen sie auf ein Stoppschild, welches sie anweist, die Bildung eines bestimmten Proteins zu stoppen, kann es vorkommen, dass die Zellen das Schild versehentlich ignorieren und das Protein weiter herstellen. Dadurch entsteht eine längere Version des Proteins, sozusagen ein Protein mit „Anhang.“ Diese längeren Proteine funktionieren möglicherweise nicht auf dieselbe Weise wie normale Proteine, was zu einem veränderten Verhalten und einer veränderten Funktionsweise der Zelle führt.

Die Forschungsgruppe von Agnes Toth-Petroczy am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) und dem Zentrum für Systembiologie Dresden (CSBD) zusammen mit den Massenspektrometrie-Experten aus der Forschungsgruppe von Andrej Shevchenko am MPI-CBG hat untersucht, wie oft Zellen beim Lesen von Stoppschildern in den genetischen Anweisungen Fehler machen und wie Temperatur und Nährstoffmangel diese Fehler beeinflussen. In einer neuen Studie, die in Nature Communications veröffentlicht wurde, haben die Forscherinnen und Forscher untersucht, wie häufig diese Fehler sind, welche Faktoren sie beeinflussen könnten und woher sie kommen.

Maria Luisa Romero Romero, die Hauptautorin der Studie, erklärt: „Wir sind der Häufigkeit von ppcodon-Lesefehlern nachgegangen und haben geschaut, ob und wie Umweltbedingungen sie beeinflussen. Dazu haben wir Stop-Codons in die Mitte eines fluoreszierenden Proteins eingefügt und sie in E. coli-Bakterien eingebracht. Anschließend beobachteten wir diese Fehler unter dem Mikroskop mit Massenspektrometrie und RNA-Sequenzierung. Wir fanden heraus, dass diese Fehler bei gestressten Zellen sehr häufig auftreten können, in bis zu 80 % der Fälle, abhängig von den spezifischen genetischen Anweisungen.“

Die Daten zeigen außerdem, dass Temperatur und Nährstoffmangel Einfluss darauf haben, wie oft die Neucodierung von Stop-Codons in Zellen stattfindet. Umweltfaktoren können sich also darauf auswirken, wie Zellen Proteine korrekt herstellen, was zu unterschiedlichsten Proteinen führt, wenn sich die Zellen an verschiedene Bedingungen anpassen müssen.

„Insgesamt zeigt unsere Studie, dass Zellen häufig Fehler machen, wenn sie Proteine herstellen, insbesondere wenn sie gestresst sind“, erklärt Agnes Toth-Petroczy, die die Studie leitete. „Wir denken, dass Bakterien in der Lage sein könnten, die Sequenzen ihrer Proteine schnell anzupassen, um auf plötzliche Veränderungen in ihrer Umgebung zu reagieren. Dies tun sie, indem sie Stop-Codon-Recodierung als Mechanismus einsetzen.”

Originalpublikation:

Romero Romero, M.L., Poehls, J., Kirilenko, A. et al. Environment modulates protein heterogeneity through transcriptional and translational stop codon readthrough. Nat Commun 15, 4446 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-48387-x