Wenn das richtige Gen auf die richtige Weise in der richtigen Stammzell-Population exprimiert wird, kann das sich entwickelnde Maushirn primatenähnliche Eigenschaften aufweisen. Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) in Dresden ist es gelungen, die Expression des Transkriptionsfaktors Pax6 in Vorläuferzellen für die Nervenzellen der Großhirnrinde von Mausembryonen so wie im sich entwickelnden menschlichen Gehirn nachzuahmen. Das Verhalten dieser Mauszellen ähnelte daraufhin dem von Vorläuferzellen im sich entwickelnden Primatengehirn. So produzierten die Vorläuferzellen der Maus auch mehr Nervenzellen – eine Voraussetzung für ein größeres Gehirn. (PLOS Biology, 7. August 2015)
Der sich entwickelnde Neocortex enthält verschiedenen Arten von neuralen Stamm- und Vorläuferzellen. Eine bestimmte Art, die basalen Vorläuferzellen, verhalten sich in Tieren mit kleinen Gehirnen wie der Maus anders als in Lebewesen mit großen Gehirnen wie dem Menschen. Im Menschen durchlaufen basale Vorläuferzellen mehrere Zellteilungs-Runden, wodurch die Anzahl der Nervenzellen beträchtlich ansteigt und damit auch die Größe des Neocortex. Bei Mäusen teilen sich diese Vorläuferzellen in der Regel nur einmal, was eine geringere Anzahl von Nervenzellen zur Folge hat. Ein Grund für das unterschiedliche Verhalten der basalen Vorläuferzellen könnte die andersgeartete Expression des Transkriptionsfaktors Pax6 sein, denn die basalen Vorläuferzellen von Mäusen exprimieren Pax6 im Gegensatz zum Menschen nicht.
"Wir waren sehr neugierig, was passiert, wenn wir das Expressionsverhalten von Pax6 im sich entwickelnden Maushirn dem von Tieren mit großen Gehirnen anpassen", sagt Fong Kuan Wong, Doktorandin im Labor von Wieland Huttner und Erstautorin der Studie. Zu diesem Zweck entwickelte Ji-Feng Fei, ein anderer Doktorand aus der Forschungsgruppe Huttner, eine neuartige transgene Mauslinie. In diesen Mäusen konnten die Forscher nun die Expression von Pax6 in den kortikalen Stammzellen so ändern, dass sie in den basalen Vorläuferzellen so wie im Menschen aufrechterhalten bleibt. Tatsächlich bewirkte dies, dass sich die basalen Vorläuferzellen der Mausembryonen nun mehrfach teilen – ähnlich wie in Primaten. Das Ergebnis war nicht nur eine größere Population an basalen Vorläuferzellen, die Tieren mit großem Gehirn ähnelt. Es wurden auch mehr kortikale Nervenzellen produziert, insbesondere für die oberste Schicht der Großhirnrinde – ein weiteres Merkmal eines höher entwickelten Neocortex.
"Die evolutionäre Expansion des Neocortex ist ein Kennzeichen von Lebewesen mit höher ausgebildeten kognitiven Funktionen. Unsere Studienergebnisse tragen dazu bei, die molekularen Mechanismen, die dieser Entwicklung zugrunde liegen, besser zu verstehen", erklärt Wieland Huttner, Forschungsgruppenleiter und Direktor am MPI-CBG. Während diese Studie zeigt, wie die veränderte Expression eines einzelnen Schlüsselgens einen großen Unterschied in der Gehirnentwicklung ausmachen kann, wird eine zukünftige Herausforderung sein, einen umfassenden und ganzheitlichen Blick auf alle molekularen Veränderungen zu bekommen, die unsere Gehirne so groß gemacht haben.