Die meisten Zellen haben antennenähnliche Strukturen, Zilien genannt, mit denen sie sich fortbewegen, ihre Umgebung erspüren und Signale an andere Zellen schicken können. Für eine Zellteilung wird ein Zilium extrem schnell ab- und wieder aufgebaut. Dies geschieht mit Hilfe von molekularen Transportzügen, die auf Mikrotubuli, langen Filamenten, entlangfahren - und zwar zur Baustelle und auch wieder zurück. In gesunden Zellen läuft dieses Transportsystem ohne jegliche Kollision und ohne Staus ab. Stockt der Transport jedoch, so kann das zu Problemen mit Krankheitsfolgen führen. Wie die molekularen Güterzüge koordiniert werden, war bisher ungeklärt. Die Arbeitsgruppe von Gaia Pigino am MPI-CBG zeigt nun, dass Kollisionen durch ein zweigleisiges System vermieden werden: Züge in die eine Richtung nutzen andere Schienen als Züge, die in die andere Richtung fahren. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht und schafften es sogar auf die Titelseite.
Bekannt war bisher, dass in Zilien Mikrotubuli immer im Doppelpack organisiert sind, auch, dass sie als Mini-Schienen für molekulare Güterzüge dienen. Die genaue Funktion ihrer Doppelstruktur aus einem A- und einem B-Mikrotubulus war jedoch bisher unklar. Um die Transportvorgänge sichtbar zu machen, haben die Forscher am MPI-CBG eine neue Mikroskopiemethode entwickelt, die Fluoreszenz-Lichtmikroskopie und Elektronenmikroskopie in 3D kombiniert. Damit können sie Vorgänge in der Zelle mit einer Auflösung von unter einem Nanometer sehen, und das mit all der Dynamik einer lebenden Zelle.
Es zeigte sich: Die Güterzüge wählen ein Gleis des Doppelstrangs, dem klar nur eine Richtung zugewiesen ist - so werden Kollisionen vermieden, Staus bleiben aus. Bewegen sich Züge zur Baustelle, nutzen sie das B-Mikrotubulus, die zurückkehrenden Züge wechseln auf das A-Gleis. Die Ergebnisse der Studie erklären erstmals schlüssig die Doppelstruktur von Mikrotubuli in Zilien und schreiben somit auch die Lehrbücher zu diesem Kapitel der Zellbiologie um. Die neu entwickelte Mikroskopietechnik eröffnet neue Möglichkeiten für alle Experimente, bei denen schnell ablaufende Prozesse in sehr kleinen Zellkompartimenten untersucht werden sollen.