Ein wesentliches Anliegen der Zellbiologie ist es zu verstehen, wie einzelne Proteine zusammenarbeiten, um komplexe zelluläre Prozesse wie Transkription, DNA-Replikation und Reparatur durchzuführen. Transkription ist ein Prozess im Zellkern, bei dem Proteinkomplexe zusammenarbeiten, um RNA-Transkripte von Genen zu erzeugen. Für eine korrekte Transkriptionsregulation müssen Enhancer - kurze DNA-Stränge - in die Nähe des Promotors des Gens gebracht werden. Da Enhancer und Promotoren oft weit voneinander entfernt liegen, stellt sich die Frage: Wie bringen Proteine diese Enhancer und Promotoren in Raum und Zeit zusammen? Und was sind die physikalischen Grundlagen dahinter?
Die Beantwortung dieser Fragen könnte einen tieferen Einblick in die richtige Regulation der Transkription im Zellkern geben. Die Ermittlung solcher Informationen ist jedoch alles andere als trivial. Doch jüngste Arbeiten aus der Arbeitsgruppe von Jan Brugués am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Zusammenarbeit mit Frank Jülicher am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme haben einen wichtigen Hinweis geliefert: Kräfte. Jans Forschungsgruppe befindet sich ebenfalls am MPI für Physik komplexer Systeme und ist dem Zentrum für Systembiologie Dresden angegliedert.
Es ist seit langem bekannt, dass Wechselwirkungen zwischen flüssigen und festen Stoffen Kräfte erzeugen, wie z. B. jene, die die Spannung eines Spinnennetzes aufrechterhalten oder solche, die es Insekten ermöglichen, auf Wasser zu laufen. Ob solche Kräfte jedoch auch im Inneren der Zelle eine Rolle spielen, war bisher unklar. Mit der Entwicklung präziser biophysikalischer Methoden und fortschrittlicher bildgebender Verfahren kommen wir dem Ziel näher, solche Kräfte nicht nur zu beobachten, sondern auch zu messen.
Das Forscherteam von Jan Brugués untersuchte die Wechselwirkungen zwischen einzelnen DNA-Molekülen und dem Transkriptionsfaktor FoxA1, einem Protein, das in vielen Spezies für die Bestimmung des Zellschicksals verantwortlich ist. Sie entdeckten, dass FoxA1-Moleküle entfernte Bereiche der DNA zusammenbrachten und dabei Kräfte erzeugten, die die DNA verdichteten. Wenn das einzelne DNA-Molekül straff gedehnt war - wie ein gespanntes Gummiband - konnten die FoxA1-Moleküle die DNA nicht zusammenführen. Wenn das DNA-Molekül jedoch schlaff war, arbeiteten die FoxA1-Moleküle zusammen, um die DNA zu verdichten und die Eigenspannung der DNA zu überwinden. Diese neuen Informationen helfen, ein klareres Bild von den Wechselwirkungen zwischen Transkriptionsregulatoren und der Oberfläche der DNA zu zeichnen.
Erstaunlicherweise erinnert die Physik, die diesen FoxA1-DNA-Interaktionen zugrunde liegt, an die Kräfte, die die Spannung eines Spinnennetzes aufrechterhalten. Ähnlich wie Flüssigkeitströpfchen auf einem Spinnennetz Kräfte erzeugen, die gerissene Seidenstränge aufrollen, fungiert FoxA1 als die flüssige Phase, die die DNA verdichtet und zusammenführt.
Zugang zum Verständnis von Kräften
Diese Studie hat gezeigt, wie Proteine zusammenarbeiten, um Kräfte im Zellkern zu erzeugen. Ein solches Ergebnis eröffnet eine spannende Forschungsrichtung, um andere komplexe Prozesse in der Zelle zu verstehen. Thomas Quail, Postdoktorand im Labor von Brugués, sagt: „Unsere Ergebnisse beschreiben einen neuartigen Mechanismus, den der Zellkern nutzen könnte, um sein Chromatin und seine DNA zu organisieren. Es ist möglich, dass diese Kondensationskräfte, die zwischen festen und flüssigen Oberflächen entstehen, auch für andere zelluläre Körper wie die mitotische Spindel und Membranen relevant sein könnten.“
Thomas Quail, Stefan Golfier, Maria Elsner, Keisuke Ishihara, Vasanthanarayan Murugesan, Roman Renger, Frank Jülicher & Jan Brugués: Force generation by protein–DNA co-condensation. Nat. Phys. (2021), www.doi.org/10.1038/s41567-021-01285-1