Durch die „Ice Bucket Challenge“ ist die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) der breiten Öffentlichkeit zu einem Begriff geworden. Bei dieser Krankheit, wie auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer oder Huntington, falten sich Proteine falsch und können Klumpen bilden, welche die Zellen absterben lassen können. Bestimmte Proteine sind besonders anfällig dafür, zu verklumpen: Vor allem die Anhäufung der Aminosäuren Glutamin und Asparagin im Protein fördern diesen Prozess. Solche Proteine konnten mit einigen neurodegenerativen Krankheitsbildern im Zusammenhang gebracht werden.
Im Modellorganismus Hefe sind diese Vorgänge bereits gut erforscht, in anderen Organismen hingegen noch nicht. Forscher am Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) haben sich deshalb die Amöbe Dictyostelium discoideum genauer angeschaut: Sie verfügt über einen außergewöhnlich hohen Anteil solch anfälliger Proteine. In anderen Lebewesen würde eine solch hohe Konzentration an anfälligen Proteinen verhängnisvolle Auswirkungen haben – Dictyostelium discoideum hat diese aber offensichtlich unter Kontrolle. Die Dresdner Forscher konnten zeigen, dass in der Amöbe die Risiko-Proteine harmlos bleiben und nicht verklumpen. Einzig unter zu hohem Stress wird das Kontrollsystem überfordert und die Proteine verklumpen. Dieses Kontrollsystem besteht unter anderem aus sogenannten Chaperonen, Proteine, welche anderen Proteinen dabei helfen, sich richtig zu falten. In weiteren Studien soll nun die funktionelle Wirkungsweise dieser molekularen Chaperone genauer charakterisiert werden. (PNAS Early Edition, 4. Mai 2015)
Zellen steuern ihre Funktionalität dadurch, dass sie Proteine herstellen, diese kompakt falten und nicht mehr benötigte Proteine wieder abbauen. Dieses System ist wie ein Stoffwechselkreislauf fein ausbalanciert, die kleinste Störung kann die Gesundheit einer Zelle deutlich beeinträchtigen und sogar zum Zelltod führen. Es gibt einige Proteine, die besonders anfällig dafür sind, sich nicht richtig zu falten und dann Klumpen zu bilden – eine verhängnisvolle Störung der ausgewogenen Proteinbalance, die mit einer Vielzahl von altersbedingten Erkrankungen assoziiert ist. Dies trifft besonders bei Proteinen mit einer hohen Konzentration der Aminosäuren Glutamin und Asparagin zu. Solche Proteine sind in allen bisher untersuchten Organismen schädlich und können bis zum Zelltod führen. Eine Ausnahme bildet allerdings die Amöbe Dictyostelium discoideum: Dieser in der Erde lebende Einzeller hat eine hohe Anhäufung von Glutamin und Asparagin; von allen bisher sequenzierten Genomen findet sich in dem von Dictyostelium discoideum der höchste Anteil solcher Proteine. Diese sonst zum Verklumpen tendieren Proteine werden von der Amöbe effizient kontrolliert. Was sind die Mechanismen, mit denen dieser Einzeller offensichtlich alles unter Kontrolle hält? Das wollte das Team um Gruppenleiter Simon Alberti genauer herausfinden.
Die molekularen Anstandsdamen
„Die riskanten Proteine werden von molekularen Chaperonen überwacht“, so Liliana Malinovska. Sie untersuchte unter anderem die Rolle der Chaperone bei der Proteinfaltung in Dictyostelium discoideum. Der Begriff „Chaperone“ kommt aus dem Englischen und bedeutet „Anstandsdame“. Die Chaperone sorgen dafür, dass sich Proteine richtig falten. In Dictyostelium discoideum verhindern sie die Verklumpung besonders anfälliger Proteine. Außerdem konnten die Forscher beobachten, dass viele der anfälligen Proteine im Zellkern angesammelt und dort abgebaut werden. „So hat diese Amöbe offensichtlich ihre fein ausgeklügelte Maschinerie auf den hohen Anteil riskanter Proteine eingestellt“, so Liliana Malinovska.
In weiteren Studien wollen die Forscher besser verstehen, was die Amöbe Dictyostelium discoideum so effizient macht. Das könnte neue Wege für Therapien im Kampf gegen altersbedingte Krankheiten, die falsch gefaltete und verklumpte Proteine zur Ursache haben, eröffnen.
Liliana Malinovska, Sandra Palm, Kimberley Gibson, Jean-Marc Verbavatz und Simon Alberti:
Dictyostelium discoideum has a highly Q/N-rich proteome and shows an unusual resilience to protein aggregation
PNAS Early Edition, 4. Mai 2015
doi: 10.1073/pnas.1504459112