Die Nervenzellen in unserem Gehirn werden während der Embryonalentwicklung von neuralen Stammzellen gebildet. Eine der Hauptfragen auf diesem Gebiet ist, wie diese Stammzellen zur Bildung des gesamten Gehirns beitragen. Da Gewebe komplexe dreidimensionale Strukturen sind, können Einzelne dieser Zellen im Gewebe nur schwer verfolgt werden. Vor einigen Jahren wurde jedoch eine manuelle Mikroinjektionstechnik zur Manipulierung und Beobachtung einzelner Stammzellen im Gehirngewebe entwickelt. Mithilfe einer mikroskopisch kleinen Nadel werden dabei sehr kleine Mengen einer Substanz in eine einzelne Stammzelle injiziert. Auf diese Weise kann beispielsweise ein Farbstoff injiziert werden, der es ermöglicht, diese einzelne Stammzelle und ihre Tochterzellen während des Wachstums des Gewebes zu verfolgen. Diese manuelle Technik hat aber den Nachteil, dass sie sehr viel Übung erfordert und sowohl die Geschwindigkeit als auch die Anzahl der Injektionen limitiert sind.
Nun haben ein interdisziplinäres Team von Entwicklungsneurobiologen am MPI-CBG, dem MPI für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) unter der Leitung von Elena Taverna und ein Ingenieurteam an der University of Minnesota (USA) unter der Leitung von Suhasa Kodandaramaiah einen neuen Roboter entwickelt, der die Mikroinjektion automatisch mit hoher Geschwindigkeit und Effizienz durchführen kann. Das Team erforschte, ob ein Roboter so programmiert werden kann, dass er automatisch mehrfache Mikroinjektionen im sich entwickelnden Hirngewebe durchführen kann. Elena Taverna vom MPI-EVA erklärt die Ausgangs-Problematik: „Während meiner Postdoc-Zeit im Forschungslabor von Wieland Huttner am MPI-CBG haben wir das Mikroinjektionsverfahren entwickelt, um das Verhalten einzelner Stammzellen im Gehirngewebe zu untersuchen. Diese Technik ist jedoch extrem schwierig zu handhaben. Es ist eine gewisse Kunst, die viel Übung erfordert, und wir waren grundsätzlich durch die geringe Geschwindigkeit und die niedrige Effizienz der manuellen Mikroinjektionen eingeschränkt.“
Maßgefertigte Steuerung regelt den Druck für die Mikroinjektion.
Gabriella Shull, eine Doktorandin im Labor von Suhasa Kodandaramaiah, analysierte dieses manuelle Verfahren und entwickelte einen Computer-Algorithmus zur Automatisierung der Mikroinjektion. Der Roboter verwendet eine Mikroskop-Kamera, die Bilder von dem zu untersuchenden Gewebe aufnimmt, und eine Mikroinjektionsnadel. Mithilfe von Computer Vision Algorithmen wird die Mikroinjektionsnadel dann präzise an die zu injizierende Stelle im Gewebe positioniert. Diese Automatisierung ermöglicht eine zielgenaue Ausrichtung der Injektionskapillare auf mehrere Zellen innerhalb eines einzigen Gehirnschnitts. Der so entwickelte "Auto-Injektor" verbessert den Prozess der Mikroinjektion signifikant, indem er die Geschwindigkeit und die Effizienz, mit der Mikroinjektionen durchgeführt werden können, deutlich erhöht, selbst im Vergleich mit einem in der manuellen Technik sehr erfahrenen Anwender. Mit dem Auto-Injektor können Wissenschaftler auch ohne monatelanges Training solche Experimente durchführen.
Darüber hinaus ermöglicht der Auto-Injektor Experimente, die bisher nicht durchführbar waren. So ist es nun beispielsweise möglich, menschliche Nervenzellen im Gewebe zu untersuchen, sowohl unter physiologischen als auch pathologischen Bedingungen. Dies ist insbesondere für Forscher interessant, die auf dem Gebiet der Entwicklungsneurowissenschaften arbeiten und die zellbiologischen und biophysikalischen Grundlagen der Gehirnentwicklung und -evolution untersuchen. Der Auto-Injektor ist ein Open-Source-Tool, bei dem alle technischen Dokumente und Software für alle Forscher offen zugänglich sind (www.github.com/bsbrl).
Gabriella Shull, Christiane Haffner, Wieland B Huttner, Suhasa B Kodandaramaiah, Elena Taverna: Robotic platform for microinjection into single cells in brain tissue. EMBO Reports, 30th August 2019. doi.org/10.15252/embr.201947880